"DER AUSLÄNDER, DER FREMD GING."

"DER AUSLÄNDER, DER FREMD GING."

Der Mensch lacht über den Menschen, wenn er ihm als Clown erscheint; der Clown ist der vom Menschen distanzierte Mensch, der unmenschliche Mensch: tragisch, komisch. Das Tragische ist das Menschliche, das Komische das Unmenschliche. (Friedrich Dürrenmatt)

Das théâtre de l' Instant ist ein Theater der Widersprüche, der Provokationen, der Reibungen und der Spannungen. Theater der Straße, nicht nur weil es im öffentlichen Raum entsteht und geschieht, sondem weil es ebenso seine Energie und seine Dramatik von und aus der Straße bezieht. Das Entscheidende ist, dass es nicht nur mit den Energien der Straße und durch sie spielt, sondem dass es genau diese Energien, positive wie negative, als Mittel verwendet, und zum Inhalt der improvisierten Performance verwandelt. Es nutzt diese Energie gleichsam, um die Performance zu evozieren und strukturieren, und nimmt sie kritisch ins Spiel auf, formt sie um, um das Wesentliche des Menschen in der Öffentlichkeit sichtbar zu machen, an die Oberfläche zu holen. Das théâtre de l' Instant bezieht das Publikum der Straße als dynamischen Faktor der Performance in sein Geschehen ein, indem es Passanten einfach so aus ihrem unbewussten "da -sein" (das zumeist nur dazu dient, um von einem Ort an einen anderen zu gelangen, oder schlendernd die Sehenswürdigkeiten und das Angebot in den Schaufenstem zu betrachten) plötzlich mitten in eine theatralische Handlung einbezieht. Der Akteur mit seinem Requisit, ein gelber Besen: ein Strassenkehrer, der es schafft, den besonders Eiligen mit Sicherheit im Weg zu stehen. Die Ausweichversuche der Darnen und Herren, die unbedingt emstgenommen werden wollen, machen besonders diese zu Eiertänzern. Manchem erscheint diese Form der Teilnahme an solch chaplinesquer Slapstickszenerie als Belästigung, aber man kann das Angebot des Komödianten annehmen, ernst nehmen und die Chance ergreifen, in dieser absurden Konstellation mitzuspielen. Es geht einfach darum, die Wirklichkeit für einen Augenblick auszuschalten, dann entsteht das Potential für einen Diskurs zwischen vorbereitetem Spiel und unvorbereiteter Umwelt, indem dieses Spiel stattfindet. Die Performance ist grundsätzlich offen, es gibt zwar eine ungefähre Regie, einen ungefähren Ablauf des Geschehens, um Details kümmert sie sich nicht. Sie ist der Spontaneität und der Improvisation der Aktion verpflichtet. TemporŠr folgt die Performance der Struktur des Slapsticks, des szenischen Aufbaus eines Sketches, bettet das Publikum in die beruhigende Sicherheit altbekannten Gauklertums, nur um bei der ersten sich bietenden Gelegenheit diese vorläufigen Grenzen zwischen Betrachter und Betrachtetem aufzulösen und der Passant, der zuvor am Rand des Geschehens verweilend vorbei geht, wird plötzlich Akteur einer Aktion, die ihm nicht all zuviel Mšglichkeiten zur Kontrolle bietet. Ebenso verlässt der Akteur die imaginŠre Bühne im Raum der Straße, die durch das Publikum gebildet wird, um unversehens mitten unter den Zuschauem eine neue Bühne mit neuen Mitspielem und neuer Dramaturgie zu gestalten, wobei die zuvor scheinbar mühsam erarbeitete Struktur eines Sketches, eines szenischen Spiels durchaus gewollt zusammenbricht. Dies alles ist für manche verstörend, irritierend, aber es erzeugt auch eine fruchtbringende Spannung, eine manchmal beinah greifbar dichte Atmosphäre, die den Zuseher, den potentiellen Mitakteur fesselt, und ihn plötzlich aus der sogenannten Wirklichkeit in die Möglichkeit des Theaters führt, und ihm gleichzeitig die engen Grenzen der Realität aufzeigt. Der Akteur versucht , die Passanten aus ihrer Passivität zu locken, ob ihre Reaktion nun positiv ist, oder nicht. Wesentlich ist, dass es eine Reaktion gibt. Das ist der Sinn und das Ziel: die Straße als Raum für Menschlichkeit und Kommunikation zu šffnen, sie den Menschen zurückzugeben, sie als Lebensraum zu begreifen, worin etwas anderes geschehen kann als die Bewegung von Ort A nach B, oder die Ausschau nach besonders wertvollen, oder günstigen, oder schšnen Konsumartikeln. Die Straße als möglichen Ort für die Enstehung einer alternativen Wirklichkeit, einer poetischen, zu verstehen zu lernen. Die Form ist eine durchaus widersprüchliche. Die Ambivalenz der Performance, die Struktur der Aktion, die auf eine Lšsung hindrängt, und der Akteur, der dieser Abfolge durchaus bewusst gegensteuert, hält das Publikum in einen Schwebezustand, den zu ertragen den Passanten immer wieder die Kraft fehlt. Und genau dieser Umstand, diese Verstörung, evoziert Aggressionen, führt zu Ausbrüchen und Unverständnis. Die Einbeziehung der Passanten, des Publikums, kann als Belästigung gesehen werden, als Attacke, Angriff, usw. Der Passant sieht sich plötzlich aus seiner gewohnten Tätigkeit herausgerissen und ohne sein Zutun mitten in der virtuellen Bühne als Teilnehmer eines theatralischen Spiels, das ihm für ein paar Augenblicke kaum eine Auswegmöglichkeit bietet. Er ist einem scheinbaren Zwang ausgeliefert, gegen den er sich nicht wirklich wehren kann, denn alles, was passiert, passiert in der Öffentlichkeit. Er sieht sich mit seinem Selbst an die Öffentlichkeit gezerrt. Eine Situation, die auf den ersten Blick inakzeptabel erscheinen mag. Doch eine solche Kritik lässt völlig den Kontext des Absurden außer Acht, in dem diese Aktion stattfindet. Die scheinbare Realität, ist eben nur eine solche scheinbare. Das Geschehen ist Teil eines Spiels, das nur zufällig an einem Ort stattfindet, der der sogenannten Wirklichkeit zuzurechnen ist. Das Publikum, die skurrilen Requisiten, die deutliche Abgrenzung der Aktion vom Alltäglichen machen kenntlich, dass es eben nicht Realität ist, dass der Teilnehmer der Aktion sich in einer Gegenwelt befindet, in der er in seiner Identität unangetastet bleibt, da alles nur Spiel, nicht wirklich ist. Was geboten ist, ist eine Möglichkeit, sich willentlich auf eine andere Form der Kommunikation mit sich, mit seinem Umfeld, mit den Menschen in der …ffentlichkeit einzulassen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist wesentlich für das Verständnis des Menschen im Raum, in den Zwängen, derer er sich jeden Tag ausgesetzt sieht, die es zu ertragen gilt. Was das theatre de l' Instant erzeugt, ist die Möglichkeit, in einer poetischen, weil surrealen Form, sich mit diesen Zwängen auseinanderzusetzen. Den Kontext, in dem der Mensch sich in der …ffentlichkeit bewegt, zu begreifen. Es macht diese Zwänge sichtbar. Es erzeugt eine Spannung, die vielleicht die Stabilität des Menschen in einer entindividualisierten Welt zum Kippen bringt, und dadurch fühlt sich der Einzelne möglicherweise in seiner Intimität verletzt, weil er nicht sieht, nicht begreift, dass das, woran er teilninmt, nicht in der Wirklichkeit geschieht, sondem eine sublimierte Form der Alltagszwänge darstellt. Er ist in einer Situation, die ihn eigentlich und ganz bewusst von genau diesen Zwängen befreit, da es Illusion ist. Wo ist die Isolation des Einzelnen, wenn er an einem Theater teilninmt, wenn er Teil einer künstlerischen Aktion ist. Denn was sonst ist der Sinn von Kunst, wenn nicht die Überführung der Alltäglichkeit auf eine poetische Ebene. Die kontextuelle Spannung des Menschen in der …ffentlichkeit (Einsamkeit, Konsumzwang, Verlogenheit, Selbstentfremdung in der Stadt, etc) wird eben auch so aufgelöst, indem sie überspitzt reproduziert wird. Der Zwang, der auf den unvorbereiteten Passanten ausgeübt wird, ist nur ein scheinbarer, dadurch wird ihm aber auch die Möglichkeit gegeben, die realen Zwange des Alltags zu erkennen. Sich seiner Selbst bewusst zu werden, als Mitglied einer Gesellschaft, worin der Einzelne Teil des Systems ist und in diesem nicht frei. Das zu verstehen ist zugegebenermaßen viel verlangt, aber das ist das Angebot des théâtre de l' Instant an jene, die an ihm teilnehmen können. "Das Komische ist das Unmenschliche". Unfreiwillig Opfer zu werden ist komisch, weil unmenschlich, das stimmt. Derjenige, der so scheinbar in seiner Privatheit vorgeführt wird, ist das Objekt des Gelächters des Publikums. Zunächst. Aber genau das stimmt nicht, im Gegenteil. Jener ist Teil einer bloß scheinbar realen Handlung, einer ironisch gebrochenen Realität und in der ist er Akteur, Täter. Und das alleinige Opfer ist die Realität, die Alltäglichkeit, die poetisch überhöht in ihrer Lächerlichkeit das wahre Objekt des Gelächters des Publikums ist. Das ist die zentrale Idee am théâtre de I' Instant. Die Masken der Realität werden plötzlich transparent und in dieser Transparenz liegt das Menschliche. Liegt der Mensch in seiner Abhängigkeit bloß. Das ist Tragisch und damit menschlich. Theater eben.

Idee, Text, Form, Realisation: Alain STAN

Bearbeitung: Peter MASSAK